Politik
Flucht ist Verrat
Hamburger Schriftstellerverband fordert ein Bleiberecht für bosnische
Exil-AutorInnen
Aus der Hamburger TAZ 1996
„Verräter“, begrüßt ein Vorort von Sarajevo
seine Besucher. Jemand hat das Wort quer über ein Ortsschild gekritzelt
und so seiner Wut über Emigranten Luft gemacht, die vor dem Krieg
in Bosnien geflüchtet sind und jetzt heimkehren. Der Haß trifft
besonders die, die von Berufs wegen auf die Öffentlichkeit angewiesen
sind: Künstler, Journalisten und Autoren. In Hamburg leben acht bosnische
SchriftstellerInnen, die im Mai abgeschoben werden sollen. Dagegen wehrt
sich nun der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) in Hamburg mit einem
offenen Brief an Bundesregierung und Bundestag.
Die Literaten fordern, dass bosnische Schriftsteller mindestens für
die nächsten drei bis vier Jahre in der Bundesrepublik bleiben dürfen.
„Exil-Autoren sind in Bosnien als Verräter abgestempelt und
in Gefahr“, sagt die Hamburger Dichterin Emina Kamber. Sie hat den
Brief mitverfasst, kommt selbst aus Sarajevo, lebt aber schon seit 29
Jahren in Hamburg. Undenkbar für Kriegsflüchtlinge, in Bosnien
ein Buch zu veröffentlichen oder zu einer Lesung eingeladen zu werden.
Denn als Heimkehrer werden sie nicht wieder in den bosnischen Schriftstellerverband
aufgenommen, und „ohne diese Mitgliedschaft gilt man nicht als Autor“,
weiß Emina Kamber. Hinzu kommt, dass viele AutorInnen aus politischen
Gründen geflohen sind und nicht wissen, was sie in Bosnien erwartet.
Kambers Kollege Midhat Hrncic vermutet gar: „Von Deutschland aus
können wir mehr für unser Land tun, als wenn wir jetzt zurückkehren.“
Hrncic ist Kriegsflüchtling. Er musste bei der Hamburger Ausländerbehörde
bereits seinen Paß abgeben und soll im Mai nach Bosnien zurück.
Emina Kamber darf bleiben. Inzwischen hat sie einen deutschen Paß.
An ihrem Engagement ändert das nichts – immer noch sagt sie
„wir“, wenn sie von den bosnischen Autoren spricht, und ihr
neues Buch handelt vom Krieg in Sarajevo (Hamburger Kriegstagebuch, Verlag
Bosnisches-Europäisches Wort, Wuppertal). Für ihre Arbeit hat
die Autorin im November die „Verdienstmedaille des Verdienstordens
der Bundesrepublik Deutschland“ bekommen. Die Auszeichnung hängt
jetzt in der Wohnung, in der Kamber zur Untermiete lebt – ihr Haus
in Hamburg hat sie verkauft, um mit dem Geld Kriegsflüchtlinge zu
unterstützen.
„Etwa 70 bosnische Schreiber leben in Deutschland“, vermutet
Reiner Elmers vom Hamburger VS. Er hat gemeinsam mit Kamber erreicht,
dass der Deutsche Schriftstellerverband die Exil-AutorInnen aufnimmt.
Eilers hat auch den offenen Brief unterschrieben. Er findet: Die Abschiebung
widerspreche dem deutschen Interesse, die Ordnung in Bosnien wiederherzustellen.
Schließlich könnten gerade SchriftstellerInnen und andere Intellektuelle
zum Frieden beitragen – es sei denn, man schicke sie zurück
und mache sie damit mundtot.
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